Lampenfieber auf der Bühne

von | März 19, 2025

Die Knie zittern, die Hände werden kalt oder schweißig und der Mund trocken. Dazu spielen die Gedanken verrückt, man vergisst den Text und fühlt sich elend. Die Nervosität vor dem Auftritt, landläufig Lampenfieber genannt, hat körperliche und mentale Auswirkungen. Diese können so quälend sein, dass das Handeln auf der Bühne beeinträchtigt wird und die Interaktion mit dem Publikum nicht mehr möglich ist. Woher kommt das und was kann man dagegen tun?

 

Unterschiedliche Formen des Lampenfiebers

„Das menschliche Gehirn ist eine großartige Sache. Es funktioniert bis zu dem Zeitpunkt, wo du aufstehst, um eine Rede zu halten.“ Mark Twain bringt in diesem Zitat auf den Punkt, was zahlreiche Menschen tagtäglich erleben, die auf der Bühne musizieren, rezitieren oder Vorträge halten. Der Kopf spielt verrückt und reißt den Körper gleich mit in den Abgrund. Die Atemtätigkeit funktioniert nicht mehr wie gewohnt und der Körper fühlt sich entweder verspannt oder im anderen Extrem völlig schlaff an.
Bei vielen Menschen, die an Auftrittsangst leiden, beginnen die Symptome nicht erst kurz vor dem Auftritt, sondern schon Stunden oder Tage vorher.

Wenn eine besondere Herausforderung ansteht, aktivieren Körper und Geist alle verfügbaren Kräfte. Je nachdem wie die Situation auf der Bühne (unbewusst) beurteilt wird reagiert das körperlich-geistige System unterschiedlich.
Gewisse Ausprägungen von Lampenfieber können die Leistung auf der Bühne sogar unterstützen. Die Überzeugung, dass etwas Wichtiges und Wertvolles bevorsteht, führt auf mentaler Ebene zu einer Zunahme der Fokussierung und zur Konzentration auf das Wesentliche. Schwierigkeiten werden antizipiert und entsprechende Vorbereitungen getroffen, so dass auf der Bühne keine Leichtsinnsfehler passieren und die Resonanz mit dem Werk und dem Publikum ermöglicht werden kann. Auf körperlicher Ebene steigen Spannung und Puls und führen im besten Fall zu einer höheren Sauerstoffzufuhr und präzisen muskulären Aktivität.

Für dieses Lampenfiebers des Gelingens braucht es das Wissen, dass die anstehende Aufgabe aus eigener Kraft bewältigt werden kann und das Ergebnis mit den eigenen Werten übereinstimmt. Diese mentale Einstellung wird Selbstkompetenzüberzeugung genannt. Wenn die Selbstkompetenzüberzeugung schwindet, weil ich nicht sicher bin, ob ich die Aufgabe bewältige oder die Erwartungen erfüllen kann, steigert sich die mentale und körperliche Spannung. Der Körper aktiviert das Programm zum Abwehren einer Gefahr. Das vegetative Nervensystem reagiert dann mit fight, flight oder fright, also Kampf, Flucht oder Erstarren. Diese Reaktionen werden als leistungsbeeinträchtigendes Lampenfieber wahrgenommen. Meist werden sie durch eine Erfahrung des Scheiterns in der Vergangenheit ausgelöst, die nicht mental aufgearbeitet und integriert wurde.

Exzellenz schützt vor Lampenfieber nicht

Diese Erfahrung ist möglicherweise schon so lange vergangen, dass sie nicht als Auslöser erinnert wird. Sehr sensible Künstler müssen die traumatisierende Situation nicht einmal selbst erlebt haben. Bei diesen Personen führt das innere Nachvollziehen von Geschichten anderer, aber auch Drohungen von außen zu Auftrittsangst, da sie die (vorgestellten) Situationen um jeden Preis vermeiden wollen. Zur mentalen Bewältigung von Auftrittsangst ist das Erinnern einer konkreten Situation aber auch nicht notwendig. Wichtig zu wissen ist jedoch, dass das Phänomen des störenden Lampenfiebers nicht nur am Anfang einer Bühnenkarriere auftritt. Viele Künstlerinnen und Künstler berichten, dass mit zunehmender Professionalisierung das Lampenfieber eher zunimmt, weil die Erwartungen gestiegen sind und ein Scheitern zu schmerzhaften Konsequenzen führt.
Alle Menschen, die regelmäßig auf der Bühne auftreten, erleben jedoch früher oder später ein Scheitern oder sogar eine temporäre Krise. Wird dieses Trauma mental nicht aufgearbeitet und integriert, kann es sich im Unbewussten verselbstständigen und die oben genannten Symptome der Auftrittsangst auslösen.

Blackout und Handlungsfähigkeit

Ein wesentliches Merkmal ist für die Verarbeitung ist, ob das Scheitern auf der Bühne als Blackout erlebt wurde oder ob die Handlungsfähigkeit erhalten werden konnte.
Beim kompletten Blackout ist ein Handeln aus eigener Kraft nicht mehr möglich. Man erlebt das Gefühl des Kontrollverlusts. Das bedeutet, dass alle drei psychologischen Grundbedürfnisse gefährdet sind. Diese sind: Kompetenz, Autonomie und soziale Eingebundenheit (Self determination theory von Decy & Ryan, 2000).
Ein Totalausfall der drei psychologischen Grundbedürfnisse auf einmal wirkt traumatisierend. Da Ihr psychisches System Sie um jeden Preis vor solchen Situationen schützen möchte, muss es Sie in zukünftigen Situationen davor warnen, um solche Erlebnisse zu vermeiden.

Anders ist es jedoch, wenn Ihre Handlungsfähigkeit erhalten bleibt. Wenn Sie zum Beispiel den Text auf der Bühne vergessen haben, aber in der Lage sind, zu improvisieren, bleiben die Grundbedürfnisse Autonomie und Kompetenz erhalten. Möglicherweise ist das Publikum sogar von Ihren Improvisationskünsten begeistert. Dann erleben Sie dadurch noch eine Verstärkung des dritten Grundbedürfnisses, der sozialen Eingebundenheit. In diesem Fall erleben Sie keinen Kontrollverlust, sondern Selbstwirksamkeit. Diese selbstwirksame Bewältigung einer schwierigen Situation führt zum Wachstum des Könnens und gleichzeitig zur Selbstkompetenzüberzeugung für zukünftige Bühnensituationen.

Realistische Leistungseinschätzung

Eine der wichtigsten Aufgaben zur Auflösung der Auftrittsangst ist also, zu identifizieren, in welchen Situationen Ihre Handlungsfähigkeit verloren gehen kann. Dazu gehört, die eigene Leistungsfähigkeit realistisch einschätzen zu können, fehlende Kompetenzen zu üben und zu wissen, wie störende Gedanken und leistungsmindernde Körperspannung reguliert werden können.
Auch das Aufdecken von Widerständen hilft oft sehr, Lampenfieber zu regulieren. Widerstände treten häufig auf, wenn Sie fremdbestimmte Ziele verfolgen oder Ihr Handeln nicht mit Ihren Werten in Einklang steht. Eine Analyse dieser Widerstände ermöglicht, diese aufzulösen und Kongruenz herzustellen.

Quellen

Deci, E. L., & Ryan, R. M. (Eds.). (2004). Handbook of self-determination research (Softcover ed. ed.). Rochester, NY: Univ. of Rochester Press..

Sie wollen Ihr Lampenfieber regulieren und Ihre Leistungsfähigkeit erhalten?
In Kapitel 3: Innere Vorstellung und Mentale Stärke finden Sie Fragebögen zur Selbstreflexion und Methoden, um Ihre Selbstkompetenzüberzeugung und Ihre Handlungsfähigkeit zu schulen.

Schwarz, Silke: Professionell SINGEN. Mentale Stärke, Eigenverantwortung, Selbstorganisation. Ein Methodenbuch für Ausbildung und Selbststudium. Schöne Töne Verlag. 2025.